Ein Frühling in Marokko

Der Königspalast in Fés

Auf nach Marokko! Durch Belgien, Frankreich (Lille – Paris – Bordeaux) und Spanien (San Sebastian – Burgos – Salamanca – Sevilla) führte der Weg nach Algeciras; gute vier Tage Zeit hatte ich mir für diese 2.573 km gelassen, da ich unterwegs auch noch einige Vorbereitungen zu erledigen und mir in Spanien drei Städte angeschaut hatte. Einen weiteren Tag habe ich mir zur Besichtigung von Gibraltar, für den Erwerb des Fährtickets und für Einkäufe genommen, eh dass es dann endlich auf die Fähre ging. [Praktischer Tipp: Tickets bei Carlos kaufen; Wohnmobil und eine Person 170 EUR.]

Teil 1: Von Tanger Med über Assilah bis El Jadida

Bei der Ankunft in Tanger Med (für Mediterran) empfing mich ein moderner großer Hafen. Die Abwicklung bei der Einreise ging recht zügig und professionell vonstatten: das Wohnmobil musste grob inspiziert und überprüft werden, ob ich wirklich alleine reiste, keine Waffen und Drohnen dabei hatte; gründlich war die Inspektion nicht.
So fuhr ich bald über die Autobahn gen Süden an Tanger vorbei mit dem Ziel Assilah, eine kleinere marokkanische Stadt und laut Empfehlung eines Freundes ein guter Einstieg in das Land und städtisches Leben.

Nach der Abfahrt von der Autobahn und Entrichten der Gebühr hielt ich auf dem angrenzenden Parkplatz, wo ich direkt von einem älteren Mann auf einen Schraubendreher angesprochen wurde: seine Tochter (Marokkanerin aus Köln) hatte ein Problem mit ihrem Türschloss. Ich nahm mein Werkzeug und ging zu dem Auto mit der blockierenden Tür. Während wir uns auf deutsch austauschten, öffnete ich den Türverschluss und nutzte die Gelegenheit, nach einem Campingplatz zu fragen. Sie konnten mir einen empfehlen und sicherten mir zu, dass ich einen guten Preis bekäme, wenn ich den Namen des Cousins nennen würde. Letzterer lebte unweit vom Campingplatz entfernt.
Da war schon das erste Anzeichen, dass es in Marokko viel um Preisverhandlung und Beziehungen geht. So fuhr ich in den Ort, orientierte mich und landete auf einem Wohnmobilstellplatz neben besagtem Campingplatz – und traf direkt auf den Mann, den ich in Spanien vor der Fähre kurz gesprochen hatte. Er hieß Uwe und so saßen wir mit seiner Frau Brigitte abends noch zusammen und lernten uns kennen. [Praktischer Tipp: Maroc Telecom, SIM-Karte für 30 MAD plus 10 GB für 100 MAD.]

Das Tor zum Hafen von Assila

Die Promenade führte am Meer entlang geradewegs zum Hafen und zum Stadtzentrum. Ich war schon gespannt zu erleben, was hinter dem Begriff “Medina” steckt. Nach Durchschreiten eines Tors in der Stadtmauer stand ich fast mittendrin: die Altstadt mit ihren verwinkelten Gassen und gedrängten Häusern war zwar klein, aber ich ahnte schon, dass man sich darin hervorragend verlaufen kann.

Er heiße Abdel Hafid Mustafa und er sei Künstler – so sprach mich ein Mann von der Seite an. Ob ich einige seiner Bilder sehen wolle? Musiker sei er auch. Abdel rollte ein paar seiner Bilder auf dem Boden aus. Das Papier habe er auch selbst gefertigt und es sei extrem belastbar, nahezu unverwüstlich! Ich ahnte noch nicht, welche Geschichten sich Verkäufer ausdenken können, um ihr Produkt noch attraktiver erscheinen zu lassen. Bei der Beschreibung zu dem Bild einer gleichberechtigten, selbstbewussten Frau, welches seiner Meinung nach zweifelsohne das Verständnis in der modernen Gesellschaft sein sollte, hatte er mich als emanzipiertem Zentraleuropäer sofort gewonnen. Im Hintergrund war eine Medina zu sehen. Ich nahm zusätzlich das Bild von den beiden Musikern, und weil es zwei Bilder waren, bekam ich einen Mengenaufschlag als noch nicht handelserprobter Tourist. Egal – die Bilder gefielen mir sehr, und zusätzlich hatte er vormittags schon seinen Tages- oder gar Wochenverdienst zusammen.
Später fand ich heraus, dass das Papier, auf dem Abdul die Bilder gemalt hatte, von Linsen- oder Reis-Säcken stammte…

Uwe hatte von einem wöchentlich wiederkehrendem Berbermarkt gehört, der ausgerechnet heute stattfinden sollte. Bauern aus der Bergregion kommen in den Ort und bieten Gemüse, Obst, aber auch Korb- und andere handgefertigte Waren an. Der Markt sei nicht weit entfernt – ob wir ein Auto hätten? Und so machten wir drei Marokko-Anfänger uns auf den Weg.
Nach drei bis vier Kilometern – wir hatten den Ortsrand wohl schon erreicht – kam es uns komisch vor und wir erklärten die Expedition für gescheitert und kehrten um. Allerdings gingen wir nicht in Strandnähe, sondern weiter im Landesinneren zurück. Die Bewohner der Straßen, durch die wir dann kamen, schienen sich zu wundern, weil sich sonst bestimmt nie Touristen hierher verirrten. Als wir fast wieder an unserem Ausgangspunkt ankamen, trafen wir auf eine Straße, an deren Rand links und rechts Gemüse, Obst, aber auch Korb- oder andere handgefertigte Waren angeboten wurden. Mission completed! Wir hatten den Berbermarkt doch noch gefunden.

Moulay Bousselham war der nächste Stop auf meiner Route gen Süden. Der Ort liegt schön an einer Lagune, der Campingplatz direkt am Wasser. Leider ist letzterer komplett eingegzäunt, sodass man nicht direkt ans Ufer gehen kann. Zum Ort selber muss man einen Hügel hinaufsteigen, um dann auf die Hauptstraße zu gelangen, die von Geschäften und Restaurants gesäumt ist. Sie mündet in einen großen Platz mit einer Moschee und einem tollen Blick auf die Lagune. Ich kam pünktlich zum Sonnenuntergang an – grandiose Stimmung. Das Städtchen ist nicht sonderlich groß und bot mir nicht so viel, sodass ich nach zwei Übernachtungen weiterfuhr.

Anders verhält es sich mit der Hauptstadt Rabat: dort war mein erstes Ziel ein Carrefour, da ich auch Bier kaufen wollte. Das ist in einem muslimischen Land gar nicht so einfach, aber zumindest hatte ich gelesen, dass die in Marokko ansässige französische Supermarktkette alkoholische Getränke anbot. Die Fahrt durch die Straßen der Hauptstadt war schon abenteuerlich: gedrängter und wuseliger Verkehr und viele Leute am Straßenrand; etliche, die mich und mein Wohnmobil anschauten. Ich erreichte den Carrefour, parkte und ging durch die Gänge des Supermarktes – kein Bier zu finden. Ich fragte einen Verkäufer auf rudimentärem Französisch, wo ich denn „la Bierre“ finden könne. Er führte mich durch einen Vorhang und eine Tür in einen separaten Verkaufsraum voll mit Wein und Bier. Tres bien. Allerdings musste man das Gebäude dann auch durch einen separaten Ausgang verlassen – von Security-Personal bewacht. Auf einmal kam ich mir nur noch geduldet vor, nicht mehr erwünscht.

Ich steuerte einen Parkplatz am Meer unweit der Medina an. Dort angekommen wurde ich von einem Wärter eingewiesen. Ich war sehr vorsichtig, war es doch mein erster öffentlicher Parkplatz in einer größeren Stadt. Ich blieb erstmal am Rand des Platzes und schaute, wie die Wellen gegen die Felsen schlugen, das Wasser in die Höhe spritzte und versuchte abzuschätzen, ob mein Gefährt hier sicher stehen würde – oder nicht. Nach etlichen Minuten beschloss ich, mich auf den Weg in die Medina zu machen. Ich ging am Friedhof entlang den Berg hinauf und stand vor dem Tor zur Medina. Diese war in keinster Weise mit der von Assilah zu vergleichen: viel größer, viel mehr Menschen und ein Geschäft nach dem anderen. “Geschäft” darf man hier nicht europäisch verstehen; es ist ein zur Straße geöffneter Verkaufsraum. Manche kann man betreten, in andern verkauft der Verkäufer über eine Theke zur Straße hin. Ist der Eingang durch zwei gekreuzt aufgestellte Besen versperrt, so bedeutet dieses (vorübergehend) geschlossen. Ladendiebstähle dürfte es demzufolge nicht geben.

Die Medina war in Planquadraten angelegt, was die Orientierung erleichterte; das Treiben und Gewusel der vielen Menschen und das Stimmengewirr wirkten dem jedoch entgegen. Ich ahnte nicht, wie verwinkelt und wie geschäftig es noch in anderen Städten werden würde. So viele unterschiedliche Eindrücke: einfache Buden und bessere Geschäfte; kurze Straßenabschnitte, die gepflastert wurden – bezahlten es die Anrainer? Normalerweise ging man direkt über Erde und Sand. Und dann stieß ich auch erstmalig auf Souqs: in diesen teilweise überdachten Straßenzügen befanden sich ähnliche Geschäfte: in dem Textil-Souq gab es Kleidung und Schuhe, in dem Einrichtungs-Souq gab es Lampen, Stühle, Tische und Accessoires, im Metzger-Souq gab es Schafsköpfe, Vorder- und Hinterläufe, Stücke vom Rind oder auch Kamel. Im Fisch-Souq gab es Fisch. Dann kamen die Garküchen und Kioske, flankiert von Süßgebäck-Ständen. Ein netter Herr sprach mich an, eröffnete das Gespräch mit Fragen nach meiner Person und Herkunft und empfahl mir ein Restaurant; als er dann sein Angebot auf Haschisch und Sex erweiterte, wollte ich wieder etwas mehr Weitläufigkeit haben und verließ die Medina durch ein anderes Tor und wand mich der Ville Nouvelle zu.

Ich durchquerte einen Park, passierte das Theater, dem gegenüber ein neuer und noch im Bau befindlicher Gebäudekomplex lag. Mein Ziel war die protestantische Kathedrale im Art-Deco-Stil. Christliche Kirchen gibt es in einem muslimischen Land selten. Dort angekommen setzte ich mich zu einem telefonierenden Mann auf eine Bank zum verschnaufen. Als dieser sein Telefonat beendete zog er eine Zigarette aus einer Packung und fragt mich: „Do you mind if I smoke?“ Ich verneinte und es entwickelte sich ein Gespräch zwischen uns. Er sei Sohn einer Schwedin und eines Marokkaners und habe sein Leben lang in Stockholm gelebt. Sein 18-jähriger Sohn käme ihn bald wieder besuchen; er selbst musste gute 50 Jahre alt gewesen sein. Das Leben in Schweden habe er einfach nicht mehr ausgehalten; der zunehmende Kapitalismus und der abnehmende direkte zwischenmenschliche Kontakt zugunsten des virtuellen Lebens würde es ihm unerträglich machen. Daher sei er vor über 10 Jahren ausgereist und habe in Marokko schon in verschiedenen Städten gewohnt und genieße die Entspanntheit und den Zusammenhalt in der Gesellschaft.

Nach dem netten und interessanten Gespräch setzte ich meine Stadterkundungstour fort und stieß auf Le Tour Hassan. Es ist der 44 Meter hohe Turm einer Moschee und mit etlichen Säulenstümpfen das Überbleibsel einer Moschee, die 1755 von einem Erdbeben zerstört wurde. Sie gilt als Wahrzeichen der Stadt Rabat.

Die Beschreibung der Kasbah les Oudaias las sich im Reiseführer sehr spannend mit ihren Gassen und dem Andalusischen Garten. So wählte ich diesen Ort als letztes Besuchsziel in Rabat. Nachdem ich das Tor Bab Oudaias durchschritten hatte, wurde ich gleich von einigen Männern angesprochen, ich solle hier oder da langgehen, um zur Moschee und anderen Sehenswürdigkeiten zu gelangen. Mein Gefühl sagte mir, ich solle mich nicht darauf einlassen und so schritt ich unbeirrt voran. Dennoch war meine Neugierde geweckt und ich zweigte heimlich zu einem späteren Zeitpunkt in die von den Männern angedeutete Richtung und verirrte mich im Gassengewirr; die kleine Moschee war dort definitiv nicht zu finden. Also ging ich zurück zu der zentralen Gasse und wurde gleich wieder angesprochen. Schließlich erlag ich einem selbsternannten Führer, der mich zunächst zu einem Gespräch und dann in einer Besichtigung bewegte. Zugegeben hätte ich zwei der Orte selber nicht entdeckt: eine private Terrasse auf der Stadtmauer und sein Zuhause mit einer Dachterrasse, von wo aus ich Teile der Kasbah überblicken konnte; alles andere hätte ich selber erörtern können. Zwei meiner zu zaghaften Versuche, die Führung zu beenden, zerredete er durch Ankündigung von weiteren spektakulären Orten. Ja, die Gassen zwischen den zur unteren Hälfte blau getünchten Häusern waren schön, aber auch jene hätte ich in Ruhe selber gefunden und mehr genossen. Daher holte ich zu einem dritten und diesmal bestimmten Versuch aus, bedankte mich und wollte ihm 20 Dirham in die Hand drücken. Er wollte mich wieder beschwichtigen, aber ich blieb konsequent und legte die Münzen in seine Hand. Er gab sich beleidigt und sagte, er habe eine Wohnung zu bezahlen und benötige den fünffachen Betrag. Ich hielt es weder für angemessen, noch hatte ich um die Führung gebeten. Ich ignorierte seinen Einwand, gab ihm das Geld und wandte mich ab. Später fiel mir auf, dass er mich von dem Semaphore mit der spektakulären Aussicht auf das Meer und die Flussmündung abgebracht hatte – wenn es ihm wahrscheinlich auch nicht bewusst war. Das war meine erste Begegnung mit einem Faux Guide, vor dem mich der Lonely Planet schon gewarnt hatte.

Casablanca – welch ein Verkehr in dieser mehr als zwei Millionen Stadt, ein Kampf und Gedränge im Kreisverkehr! Ich hatte die Regeln immer noch nicht ganz verstanden, was aber auch wohl daran lag, dass – falls es welche gäbe – diese auch nicht wirklich befolgt wurden und ich daher versuchte, im Strom zu schwimmen.
Der (wahrscheinlich selbsternannte) Parkwächter winkte mich herbei und dann in eine Parklücke ein. Nicht, dass ich es nicht selbst geschafft hätte, aber darum geht es nicht: je mehr Leute irgendwie Geld verdienen, desto besser. Und schließlich würde er ja auf mein Gefährt aufpassen.

Moschee von Hassan II

Die Moschee von Hassan II. liegt direkt am Meer und an dem Morgen vollkommen im Nebel. Die Spitze des Turms war nicht zu sehen; sie verschwamm schnell in dickem Dunst.
Ich ging Richtung Medina durch eine recht ärmliche Gegend. Die kleinen Verkaufsstände und Werkstätten waren allesamt einfache, improvisierte Hütten. Ich sah wie Möbel (meist Betten und Schränke) und Matratzen gefertigt und wie Mofas und Fahrräder repariert wurden. Ich weiß nicht warum, aber ich fühlte mich unsicher.
Ich erreichte das Tor zur Medina. Die Gassen waren eng, das Treiben wuselig. Ich war eher getrieben als dass ich in Ruhe hätte schauen können. Ich erreichte einen offenen Platz, setzte und orientierte mich. In der Nähe war “Rick’s Café”, aber da der Film wohl komplett in Studios gedreht worden war und auch jenes Café erst nach dem Film eröffnet wurde (und ich zudem den Film noch nicht gesehen hatte), ließ ich das Café Café sein. Meine Erkundungstour führte mich raus aus der Medina zum Uhrenturm und auf den Platz der Vereinten Nationen.

Ich orientierte mich und ging in Richtung des Platzes von Mohammed V. Dort staunte ich nicht schlecht über das im Bau befindliche Grand Theatre mit hochmoderner Architektur.

Auf meinem Rückweg passierte ich nochmal die Moschee, die nun vom Nebel befreit war und somit auch die tolle Lage direkt am Meer sichtbar wurde.

Mein nächster Stopp war El Jadida. Dieser Ort war überwiegend für seine Festung und die darin befindliche Zisterne bekannt. Pünktlich zum Beginn der Mittagspause von 12 bis 15 Uhr kam ich an dem Gebäude an, welches früher zur Wasserversorgung der Stadt gedient hat. Ich machte kurzerhand einen Spaziergang durch den neueren Teil der Stadt und besuchte den Hafen, wo Händler den Fisch von den Booten kauften und wenige Meter weiter auf dem Fischmarkt an den Endverbraucher verkauften. Es war auch noch Zeit für einen Rundgang auf der Mauer der Festung, bevor dann die Tore zur Zisterne wieder geöffnet wurden und ich hinabsteigen konnte. Es befand sich noch eine Pfütze in der Mitte des großen Raumes, in dem sich das prächtige Gewölbe spiegelte; ein dicker Lichtstrahl fiel durch eine runde Öffnung in der Decke auf die Wasseroberfläche und erzeugt eine spannende Lichtsituation in dem Raum. Man konnte die Wasserfläche umschreiten und so den Raum und die schiefe Lichtsäule von allen Seiten betrachten.

Teil 2: Von Oualidia bis Essaouira

30 km weiter südlich an der Küste lag Oualidia, das wie Moulay Bousselham an einer großen Lagune liegt. Ich ahnte nicht, dass dieser Ort viele Begegnungen für mich bereithalten sollte. Ich fuhr auf den großen Wohnmobil-Stellplatz, der gut belegt war und parkte neben einem selbstgebauten Wohnmobil auf MAN-LKW-Basis; vor ihm stand eine kleine Gruppe von Leuten, Brigitte und Uwe mittendrin. Dann war da noch das Pärchen mit kleiner Tochter, die seit Monaten in dem selbstgebauten Wohnmobil durch Nordafrika unterwegs waren, und Julia, die mit einem 35 Jahre alten Wohnmobil von der Schweiz nach Gambia zu ihrem neuen Job beim UNHCR unterwegs war. Es ergaben sich aufgrund der Teilnehmer, ihrer Erlebnisse und ihrer Vorhaben interessante Gespräche. Ich fand Julias Vorhaben sehr mutig: mit ihrem sechs Jahre alten Hund Yala und dem für 1500 EUR fitgemachten Wohnmobil-Oldtimer als Frau durch mehrere arabische Staaten zu reisen, klang für mich nahezu riskant. Gut, der Hund konnte sie sicherlich ein gutes Stück weit beschützen, zumal die Marokkaner eher Angst vor Hunden haben. Überwiegend sind Hunde dort herrenlos, zu zweit oder dritt unterwegs und dem Menschen gegenüber in der Regel ängstlich. Aber diese Regel hat auch Ausnahmen, und gerade im Rudel können sie dann doch auch mal angriffslustig werden. Und wenn dann eine blonde Mitteleuropäerin durch lautes “Yala!”-rufen (arabisch für “vorwärts!” oder “los!”) ihren Hund zurückordern will, dann ist die Verwirrung bei den Marokkanern komplett.

Etliche Verkäufer kamen morgens auf den Platz. Sie boten Gemüse, Obst, Fisch, Hummer und Muscheln zum Verkauf an und kamen überwiegend mit Mofas, aber auch zu Fuß. Unter ihnen war Mahdi, 30 Jahre alt; er verkaufte Kekse, die angeblich von seiner Mutter selbst gemacht waren. Wir kamen ins Gespräch und fanden schnell eine gemeinsame Ebene: so unterhielten wir uns über Musik im Allgemeinen und Rap im Speziellen; er sei Rapper und zeigte mir Videos von seinen Auftritten. Als ich ihm sagte, dass ich Saxophon spiele, wurde er hellhörig. Er betreibe einen eigenen YouTube-Kanal (“Energy Trip Music”) und mache Interviews mit Musikern, die dann auch live etwas vorspielen würden – ob ich auch mitmachen wolle?
Julia und Uwe wollten fischen gehen und sich von Mahdi die geeigneten Stellen zeigen lassen. So liefen wir die felsige Küste entlang und beobachteten, wie die Wellen gegen das Gestein schlugen und das Wasser in die Höhe spritzen ließ. Mahdi führte uns durch eine Spalte hinab durch ein Loch in eine Höhle, die durch Öffnungen den Blick auf das Meer freigab. Selber hätten wir diesen schönen Ort nicht gefunden.

Der junge Rapper war mir sehr sympathisch. Am nächsten Tag kam er etwas bedrückt zu uns und sagte, er könne nicht bleiben, da ihm eine Person der lokalen Behörden den Zugang zum Stellplatz untersagt hatte. Einen Grund konnte er mir nicht nennen. Ich vermutete, man wolle vermeiden, dass sich die Touristen bedrängt fühlen könnten. Ich bot ihm an, mit den Parkplatzwächtern zu sprechen, um klar zu machen, dass ich den Kontakt zu Mahdi sehr schätzen würde, doch er lehnte ab. Stattdessen überlegten wir, wie er mit mir ein Interview im Wohnmobil drehen könne. Ich bot ihm an, dass wir es am nächsten Tag vor meiner Weiterfahrt aufnehmen könnten.

Mit Julia, Brigitte und Uwe erkundete ich den kleinen Ort, in dem der Wochenmarkt stattfand. Es war einer dieser urtümlichen Märkte, wo die Waren auf einer Plane auf dem Boden liegend angeboten, Hühner geschlachtet, gerupft und gewaschen und Töpfe und andere Metallwaren auf Tischen präsentiert und verkauft wurden. Brotverkäufer bahnten sich den Weg zwischen den Ständen hindurch, um ihr leckeres Fladenbrot feilzubieten. Dieser Markt hatte angrenzend auch einen Viehmarkt, auf dem wohl früh morgens die Tiere verkauft wurden; wir waren zu spät, um Zeuge eines solchen Handels werden zu können.

Am nächsten Tag drehte ich wie verabredet mit Mahdi noch das Video für seinen YouTube-Kanal. Er interviewte mich zunächst zur Musik, bat mich dann um mein Stück und untermalte es mit Gestik und Mimik – herrlich! Ich war froh, dass wir es noch geschafft hatten und fuhr dann zufrieden weiter gen Süden.

Nach 3.523 km Fahrt kam ich in Essaouira an. Diese Stadt und die Gegend sind für mich ein Highlight, da es sich um eine Windsurfer- und Surfer-Hochburg handelt und ich meine Reise darauf ausgelegt hatte. Einmal hier unten im Atlantik zu surfen muss großartig sein; er hat wirklich schöne große Wellen, die mit Abstand an die Küste laufen. Leider gab es überhaupt keinen Wind, seitdem ich das Mittelmeer und den Atlantik erreicht hatte; es war auch für die nächsten neun Tage kein Wind vorhergesagt. Das Schöne war, dass es dort Surfshops gibt und man sich dort Equipment ausleihen kann; so lieh ich kurzerhand für vier Stunden und probierte drei Wellenreiter aus – auch ein Spaß!

Natürlich wollte ich auch die Stadt besichtigen. Essaouira ist recht bekannt und wird von vielen Touristen besucht. Es gab einen einzigen Campingplatz, der aber nun geschlossen ist; ich durfte noch eine letzte Nacht dort stehen. Er lag am anderen Ende der Bucht und musste einem Neubaugebiet weichen. In einem Ort etwa 30 Kilometer nördlich hatte mich ein Parkplatzwächter schon darauf hingewiesen, dass der einzige Campingplatz in Essaouira geschlossen sei; ich hielt es allerdings für eine der arabischen Methoden, den eigenen Campingplatz oder den eines Freundes zu propagieren, aber diesmal entsprach die Information der Realität. Doch zurück zur Bucht von Essaouira: an der gesamten Bucht führte eine Promenade entlang bis zum Ortszentrum. Der Sandstrand war breit und prächtig und bevölkert von Einheimischen und Touristen. Nach knapp zwei Kilometern erreicht man den Eingang zur Medina. Ihre Straßen und Gassen sind zwar auch verwinkelt, aber aufgrund der Schmalheit war die Gefahr des Verlaufens eher gering. Der Hauptstrom der Menschen führte in den Hafen, der hauptsächlich dem Fischfang dient. Essstände und improvisierte Restaurants boten frisch gegrillte Fische und anderes Meeresgetier an. Selbstverständlich konnte man fangfrischen Fisch auch dort kaufen und selber zuhause zubereiten.

Aber auch der Weg vom Stadttor in die entgegengegsetzte Richtung ist lohnend. Er ist weniger touristisch und bietet viele kleine Geschäfte mit Obst, Gemüse und anderem für den alltäglichen Bedarf.

Am Ende des Weges zurück entlang der Promenade und der Bucht fand ich etliche Kamele, Pferde und Quads, die man mieten konnte. Mir sprang ein Pferd ins Auge, welches golden in der Sonne glänzte. Ich stand nicht lange bei dem arabischen Hengst, als sein Besitzer zu mir kam. Er bot mir einen begleiteten Ausritt an, und kurze Zeit später ritten wir zu zweit durch Dünen, das Hinterland und galoppierend am Strand entlang; es war einer meiner schönsten Ausritte überhaupt. Obgleich ich wenig reite, hörte der schöne Soleil ausgezeichnet auf mich. Auf dem Weg zurück spürte ich den sogenannten Stalldrang: sein Galopp war kräftig im Antritt und schnell; mein anfängliches “Oh oh oh…” wandelte sich in ein “YEAH YEAH YEAH!!!”.

Die Bucht von Essaouira mit vorgelagerter Insel

Teil 3: Von Essaouira über Agadir nach Marrakesch

Surfer sind willkommen in Sidi Kaouki

Nur etwa 30 Kilometer weiter südlich liegt der kleine Ort Sidi Kaouki; er ist eigentlich nur eine Ansammlung von wenigen Häusern, ein paar Cafés und Restaurants und zwei Campingplätzen. Ich hatte gehört, dass er gerne von surfenden Hippies besucht würde, und in der Tat fand ich einige improvisierte Wohnmobile, mit denen die Leute auch wild campten. Ich entschied mich für eine Bungalow-Anlage kombiniert mit einem Wohnmobil-Stellplatz. Die erste Reihe der Häuser war bereits so gut wie fertig gestellt und teilweise von Touristen belegt. Die zweite Reihe hatte schon Fenster eingebaut bekommen, war aber noch nicht bewohnbar, während die dritte Reihe sich im Rohbau befand. Als ich morgens mit dem netten Betreiber Ali bei einem Kaffee zusammen saß, erfuhr ich, dass der Baubeginn der Anlage 2003 war. Mittlerweile war es 16 Jahre später; es wird immer dann gebaut, wenn wieder genug Geld für einen weiteren Bauabschnitt da ist, wobei Bauabschnitt eher als Bauphase zu verstehen ist – wie lang oder groß sie auch immer ist.

Ich verabschiedete mich von Ali und machte mich auf die Suche nach Ibrahim, dem Besitzer von dem schönen Pferd, welches ich am Tag zuvor entdeckt hatte. Es war keine Schwierigkeit, fand ich ihn nach wenigen hundert Metern am Rand der kleinen Siedlung Sidi Kauoki. Ich nannte das Pferd Pride, weil es auf dem von mir geschossenen Foto so stolz wirkte. Der acht Jahre alte Hengst war sehr auf seinen Herrn fixiert, der auf einem jüngeren Pferd nebenher ritt. Ich hatte Schwierigkeiten, ihn von dem anderen Pferd wegzulenken; trabte ich ihn an, so wollte er sofort zu seinem Kompagnon. Er wirkte zudem ungestüm auf mich; er lief auch gerne mal seitlich und der Sattel schien auf dem Pferderücken zu rutschen. Später galoppierten wir noch an, aber ich hatte kein gutes Gefühl. Ich sagte zu Ibrahim, dass mir eine halbe Stunde Trab genug sei; da er aber den vollen Preis haben wollte, bot er mir ein anderes Pferd an. Es war mit drei Jahren noch recht jung, und ich hatte auch da meine Schwierigkeiten, ihn zu bestimmen. Er wollte partout nicht linksherum gehen; gut, so lenkte ich ihn rechtsherum. Ich versuchte ihn noch ein bisschen alleine zu reiten, während mein Führer mit ein paar Jungs Fußball spielte. Ich konnte mich aber wohl nicht richtig durchsetzen, und obwohl ich durch den Fahrradhelm gut gesichert war, wollte ich nichts riskieren. Ich lenkte das junge Tier zurück, stieg ab und verbuchte die Erfahrung als solche.

Meine Planung sah vor, weiter entlang der Küste nach Süden in Richtung Agadir zu fahren. Auch dieser Teil wird viel von Surfern genutzt, mit Taghazout als weiterer Hochburg. Auf der Fahrt bin ich durch Gegenden mit Arganbäumen gekommen; diese äußerst hitzebeständigen Bäume tragen Früchte, deren Kerne geröstet, gemahlen und gepresst werden, um daraus das Arganöl zu gewinnen. Dieses wird sowohl zum Verzehr als auch für die kosmetische Anwendung verwendet.

Von Taghazout aus habe ich mich ins Landesinnere Richtung Marrakesch begeben und bin durch die Ausläufer des Hohen Atlas gefahren. Diese waren karg und schroff, und ich wunderte mich, dass hier überhaupt Pflanzen wachsen konnten. Die Gegend wirkte dürr, die Erde war gelblich gefärbt. Kurz vor Erreichen der Autobahn änderte sich die Farbe schlagartig in rot, wie es auf dem Landschaftsbild zu sehen ist.

Es scheinen auch hier sehr viele Menschen von der Landwirtschaft zu leben. Auf den Märkten in den Städten sieht man viele kleine Marktstände, an denen Gemüse, Obst, lebendige oder bereits geschlachtete Tiere, Fleisch, Eier, Gewürze und auch andere Waren (Türen, Möbel, Kleinkram, …) angeboten werden. Hühner kann man sich lebendig aussuchen; sie werden durch einen schnellen Kehlschnitt vor dem Auge des Käufers getötet, kopfüber in ein Gefäß zum Ausbluten gesteckt, wo sie mit den letzten Zuckungen weder weglaufen noch -fliegen können. Anschließend werden sie gerupft und gewaschen.

Bei der Fahrt über das Land sieht man häufig Schafs- und Ziegenherden mit ihrem Hüter; er hält die Herde zusammen oder sitzt einfach in der Sonne und sinniert vor sich hin. Ist die Stelle in der ohnehin schon kargen Gegend abgefressen, wandert er mit den Tieren weiter. Ziegen klettern auch gerne auf (Argan-) Bäume und fressen die Blätter – ein lustiges und typisches Bild für die Gegend, was ich leider nicht fotografisch einfangen konnte.

Marrakesch – welch eine besondere Stadt! Schon vom Stadtrand an präsentierte sie sich sauber, aufgeräumt und mondän. Die Souqs (Marktstraßen) in der Medina (Altstadt) sind verwinkelt und wie ein Labyrinth. Die einzelnen Abschnitte bieten meist unterschiedliche Waren an: Lampen, Bekleidung, Gemüse, Garküchen, Schuhe, Lederwaren, Tiere, … Es ist herrlich, sich dem Treiben hinzugeben und sich zu verlaufen. Gerne findet man sich auch mal am Ende einer Sackgasse wieder und muss einfach wieder zurücklaufen.

Der Jemaa el Fna (“Versammlung der Toten”), ein großer zentraler Platz, wird tagsüber als Marktplatz und abends als Bühne und Restaurant verwendet. Zum Einbruch der Dunkelheit werden die Garküchen aufgebaut, Bands, Gaukler, Akrobaten, Geschichtenerzähler und Glückspielveranstalter sichern sich ihren Platz, um die Einheimischen zu vergnügen. Da waren die Wurfspiele, bei denen man eine Flasche Limonade gewinnen konnte, wenn man einen Wurfring aus einem halben bis zu zwei Metern Entfernung auf einem Flaschenhals platzieren konnte. Oder die Schlangenbeschwörer, die mit ihren Flöten vor den eingerollten Klapperschlangen saßen und die ausgerollten ungefährlichen Exemplare passierenden Gästen um den Hals legten. Oder die Musiker, die durch zusätzliche Accessoires auffallen wollten, und sei es ein Huhn auf dem Kopf. Oder die Akrobaten, die alleine oder zu mehreren ihre körperliche Geschicklichkeit unter Beweis stellten. Bei den Geschichtenerzählern wäre ich gerne des Arabischen mächtig gewesen, um zu verstehen, was der Inhalt der Erzählungen war; aber auch so war ich aufgrund der dramatischen Gestik und Mimik in ihren Bann gezogen. Die Affendompteure hielten ihre Tiere an Ketten und setzten sie den Passanten auf die Schultern. Man konnte sich Tattoos mit Henna (eine Naturfarbe aus der gleichnamigen Pflanze) auf die Haut malen lassen. Dann gab es noch die Männer, die vor Tischen saßen, auf denen Zangen, Zähne und “Second Mouth Gebisse” lagen. Vieles mutete wirklich mittelalterlich an. Moderner dagagen waren die Saftverkäufer, die verschiedenste Früchte schön drapiert ausstellten und daraus ein leckeres Getränk pressten oder mixten. Es gab etliche davon, die meist auch eng beieinander standen und versuchten, sich gegenseitig die Kunden wegzuschnappen.
Bei vielen Schaustellern reichte schon ein kurzer Blick, um zur Kasse gebeten zu werden; Fotos durfte man dann noch schießen. Für Touristen, die von sich aus zur Kamera griffen, wurde sofort ein Preis festgelegt. An sich ist dieses ja generell angebracht, aber häufig wurden abstruse Beträge gefordert; zeigte man sich nicht einverstanden, war man schnell wüsten Beschimpfungen ausgesetzt.

Etliche Garküchen boten verschiedene Arten von Gerichten an: Fische, Calamari, Crevetten, Fleichspieße oder Gemüse, welches auf einem Grill gegart wurde, oder Schafsköpfe, die gekocht und dann angeboten wurden, oder die typischen Tajines, die in den markanten Tonschalen mit Deckeln geschmort werden. Besonders die touristischen Gäste wurden von Schleppern massiv umlagert – auch eine Form der Bewerbung. Manche der Schlepper stellten sich ihrem Opfer in den Weg, fassten es am Arm oder der Schulter an und wurden sogar unverschämt und beschimpften einen, wenn man ihrer “Empfehlung” nicht folgte. Eine solch aufdringliche Art hatte ich zuvor nicht erlebt. Hatte man seine Wahl getroffen, so schmeckte das Gegarte lecker und man konnte es in Ruhe genießen.

In Marrakeschs Medina gibt es etliche Restaurants und Cafes, die sich über mehrere Etagen erstrecken und auf dem Dach eine Terrasse mit toller Aussicht haben. Sogar bei leicht diesiger Sicht kann man das Gebirge “Hoher Atlas” sehen. Seine Gipfel erreichen Höhen von über 4000 Metern; auch die Niedrigeren waren noch schneebedeckt.

Über den Dächern von Marrakeschs Medina sieht man auf den hohen Atlas

Teil 4: Von Marrakesch über den Hohen Atlas bis nach Erg Chebbi

Fährt man gen Osten, so erreicht man den Hohen Atlas nach etwa 40 km. Die Passstraße windet sich in die Höhe und oben gab es eine Baustelle nach der anderen; Serpentinen wurden entschärft, die Straße verbreitert und Haltebuchten geschaffen. Für unser europäisches Auge erscheinen die Baustellen chaotisch: die Umleitungen sind durchfurcht, das Wohnmobil schaukelte von links nach rechts, man musste Löcher umfahren und an einspurigen Passagen warten; Arbeiter gab es genug – diese Passagen wurden in der Regel von mindestens drei Bauarbeitern geregelt, die die Fahrzeuge zum Halt oder zur Weiterfahrt aufforderten.

Immer wieder bieten sich schöne Ausblicke auf die flache Ebene, in der Marrakesch liegt. Meistens befinden sich dort auch kleine Geschäfte oder Verkaufsstände, die einen weiteren Grund darstellen, die Fahrt zu unterbrechen. Man kann Tajine-Töpfe, Schüsseln, andere Keramikwaren, Korbwaren, Souvenirs oder Speisen und Getränke kaufen. Zwei oder drei kleine Bergortschaften durchfährt man, auf denen man das normale marokkanische emsige Treiben beobachten konnte. Die am Wegesrand aufgebauten Straßenmärkte bestehen aus Planen, auf denen die Waren (meist Obst und Gemüse) aufgehäuft sind. Die Waagen und die Verkäufer selbst trohnen dazwischen auf Kisten.

In der Ebene auf der anderen Seite des Gebirges an dem Fluss Asif Ounila liegt Âit Benhaddou, ein Ort mit einer Ksar (Festung) aus Lehmziegelbauten, die schon für einige Filme als Drehort verwendet wurde. Die Häuser fügen sich farblich harmonisch in die Landschaft ein. Der Anblick der früheren Karawanserei wirkte biblisch auf mich; die Einheimischen in weißen Gewändern bestärkten diesen Eindruck. Letztere betreiben Geschäfte, Cafés, ein Hotel oder eine Pension. Die gesamte Ksar gehört zum UNESCO Weltkulturerbe und wird ausschließlich touristisch genutzt.

Die Landschaft auf dem weiteren Weg gen Osten wird immer karger, die ersten Steinwüsten beginnen und einzelne Oasen mit Palmeraien tauchen auf; Skoura ist wahrscheinlich die Bekannteste von ihnen. Von meinem Idealbild einer Oase (ein Frischwasserteich umgeben von Palmen und Hütten, wo Menschen und Kamele rasten) ist dieses weit entfernt, aber es handelt sich schließlich auch nicht um eine Sand-, sondern eine Steinwüste. Auf der Weiterfahrt durch die riesige flache Ebene, die im Norden und Süden von Gebirgszügen eingeschlossen ist, gibt es auf der einen Seite viele Krater. Diese sind mit einer solchen Regelmäßigkeit angeordnet, dass sie nicht natürlich hätten entstanden sein können. Beim Besteigen eines etwa drei Meter hohen Kraters kann man ein Loch in der Erde sehen, welches einen unterirdischen Gang erkennen läßt. Es handelt sich um ein von Menschenhand geschaffenes Bewässerungssystem, welches Wasser unterirdisch kilometerweit leitet.

Die Wüste Erg Chebbi liegt im Osten Marokkos, fast an der Grenze zu Algerien, mit dem Ort Merzouga direkt an sie grenzend. Ich parkte das Wohnmobil in Auberge Camping Sahara direkt am Fuße einer Düne und war so überwältigt und übermütig, dass ich das Gefährt vor der Düne im Sand versenkte; es gab kein vor oder zurück mehr – die Räder drehten durch und gruben sich nur um so tiefer ein. Als ich am nächsten Tag einen weiteren Versuch unternahm, verwendete ich die Nivellierungskeile als Schaufel und Unterlage für die Reifen. Tatsächlich konnte ich das Mobil auch ein paar Zentimeter bewegen. Ein junger Bauarbeiter hatte meine Situation erfasst und kam mit einer Schaufel zur Hilfe: er planierte den Sand vor allen vier Reifen und deutete mir an, ich solle zügig und doch gefühlvoll vorwärts fahren – was auch gelang. Hurra, alles ohne Esel, Pferde, Bagger oder Traktor. Gewusst wie.

In der Wüste kurz vor dem Sonnenaufgang

Am Morgen auf einer Düne in der Wüste den Sonnenaufgang zu beobachten ist wirklich ein besonderes Erlebnis. Es war noch kühl, langsam wurde es heller und heller und am Horizont begann sich ein Bereich lila einzufärben. Er wechselte zusehends über gelb nach orange, bis schließlich der erste kleine Teil der Sonne hervorkam. Dann ging es recht schnell: die Palmen und die Dünen wurden angestrahlt und die Sonne begann die Haut zu wärmen.

Beim anschließenden Frühstück auf der Dachterrasse eines Cafés konnte ich ein weiteres typisches Wüstenphänomen erleben: es wurde windig, die Fernsicht nahm ab und kurze Zeit später befand ich mich in einer Wolke aus Sand. Ich konnte nicht mal 100 Meter weit schauen und es war unangenehm in den Augen. Dieses wiederholte sich bis zum späten Nachmittag, und es wurde verständlich, warum die Tuareg mit einem um den Kopf, den Hals und auch das Gesicht gewickelten Tuch herumlaufen; auf diese Art schützen sie sich vor dem Sandsturm.

Der Ort Taouz ist dann der Letzte per Teerstraße erreichbare Ort; rote in den Boden eingelassene Steine, einer mit “Stop” beschriftet, verhindern die Weiterfahrt für normale Gefährte. Mit Geländewagen kann man passieren und eine Sandpiste zu weiteren kleine Siedlungen in der Wüste vor der Grenze zu Algerien befahren.

Ende der Piste in Taouz

Teil 5: Von Erg Chebbi über Agdz zurück nach Marrakesch

Bei einem abendlichen Gespräch mit einem Motorradfahrer aus Bonn erfuhr ich, dass die südliche Route von der Wüste Erg Chebbi nach Ouarzazate durchgängig geteert und gut zu befahren sei. Auch wenn es mir nichts ausgemacht hätte, die selbe Strecke wieder zurück zu fahren (der Rückweg sieht wegen der anderen Perspektive ohnehin meist anders aus), freute ich mich über die Abwechslung. Ich durchquerte abermals Steinwüsten und fuhr über weite Strecken durch die Einsamkeit; Orte gab es wenige, aber wenn man gar nicht damit rechnete, tauchte ein Hirte mit seiner Schafs- oder Ziegenherde auf – einmal war es sogar eine Dromedarherde. Blickte man in die Landschaft, so drängte sich die Frage auf, was die Tiere dort fressen konnten.

Als ich an einer Stelle hielt, um ein Bild von einer für mich typisch erscheinenden afrikanischen Steppe zu schießen, hielt kurze Zeit später ein Wohnmobil aus Österreich neben mir. Die Beifahrerin fragte mich, ob ich ein Problem hätte und wie sie mir helfen könne – sehr nett und hilfsbereit! Ich erklärte, dass ich nur fotografieren wollte und fokussierte mit der Kamera einen der Bäume, die vereinzelt mitten in der kargen Ebene stehen; letztere wurde begrenzt durch Berge, die sich am Horizont erhoben.

Looks like Africa

Ich fuhr an dem Tag noch bis nach Agdz im Dráatal – der Oued (Fluss) Dráa entspringt dem hohen Atlas und ‘nährt’ mehrere Oasen in dem Tal. Es ist erfrischend, das satte Grün der Palmen und anderen Gewächse entlang des Flusses zu sehen, wenn man aus der kargen Wüste oder Steppe kommt. Der Ort Agdz ist hübsch – was man vom Wohnmobil-Stellplatz nicht sagen konnte. Daher verließ ich ihn schnell und marschierte zu dem Markt, den ich beim Durchfahren des Ortes gesehen hatten. Ich kaufte noch süß-saftige Orangen und kehrte in einem Restaurant am zentralen Platz des Ortes ein.

Für den nächsten Tag hatte ich mir Telouet vorgenommen: ich zweigte hinter Ouarzazate bei Ait Benhaddou ab und fuhr die Strecke durch die gebirgigen Ausläufer des Zentralen Hohen Atlas. Die Landschaft ist spektakulär. Die Berge sind kahl, und durch die Schlucht schlängelt sich der Asif Ounila und färbt die sonst gelb-rosane Landschaft grün ein, indem er Palmen und andere Pflanzen links und rechts seines Ufers wachsen lässt. Mit dem blauen Himmel reduzieren sich die Farben auf grün, ocker, rosa und blau. Ein paar Kilometer weiter und einige Meter höher trieb der Wind Regenwolken zwischen die Bergrücken und die feinen Regentropfen spannten einen flachen Regenbogen über der Schlucht auf.

Ich bog links ab, fuhr über den Pass und erreichte Telouet. Der Ort ist bekannt für seine Glaoui-Kasbah, die ich natürlich besichtigen wollte. Nach dem Kauf der Eintrittskarte begleitete mich ein Mann – ein Führer, den ich loszuwerden versuchte; zu häufig bieten sich diese an oder drängen sich auf und verlangen anschließend horrende Preise. Letztendlich sagte ich ihm direkt, dass ich das Gebäude auf eigene Faust erkunden wollte – was er sofort akzeptierte. Es gleicht bis dahin einer Ruine, und ich staunte nicht schlecht, als ich einen Raum erreichte, der verputzt und weiß gestrichen war. An ihn schließt sich ein langer Flur an, der am Ende in einen reichlich verzierten Saal führt. In der Mitte der Decke befindet sich ein gegiebeltes Dachfenster, wodurch der Raum mit Tageslicht erhellt wird. An den Saal wiederum schließen sich zwei weitere Räume an, einer bestückt mit einem Fenster, welches einen wunderschönen Blick talwärts bietet.

Bei der anschließenden Weiterfahrt musste ich den Hohen Atlas wieder erklimmen; oben boot sich mir ein fantastischer Sonnenuntergang:

Zurück in Marrakesch wollte ich nun endlich einige Einkäufe erledigen und zog mit diesem Ziel durch die Souqs. Die Strategien der Verkäufer sind ähnlich: meist wird zunächst gefragt, ob man zum ersten Mal in Marokko sei. Ich habe dieses immer selbstsicher verneint und behauptet, es sei mein fünftes Mal; damit wollte ich suggerieren, dass ich wisse, wie es in Marokko läuft – insbesondere die Geschäfte. Viele Verkäufer sehen dann zu, dass sie dem potentiellen Käufer die Ware in die Hand drücken und sie nicht wieder zurück nehmen, ehe man sich auf einen Preis geeinigt hat. Dieses kann in zwei Richtungen geschehen: der Verkäufer schlägt einen Preis vor, den es dann herunterzuhandeln gilt; die Hälfte es vorgeschlagenen Preises ist ein guter Startpunkt, eventuell auch noch darunter. Alternativ fragt der Verkäufer den Interessierten, was er dafür bezahlen wolle; dafür muss man natürlich schon mal ein Gefühl haben, welches ein realistischer Preis ist. Die meisten Verkäufer wollen auf Teufel komm heraus einen Preis hören; nennt man einen Betrag und kauft dann nicht, so ist der Verkäufer in der Regel äußerst beleidigt. Er drückt dieses in Fassungslosigkeit oder soger in Verärgerung teilweise mit Beleidigungen aus. Im Zweifelsfall bricht man die Verhandlungen mit “maybe later” ab, was in der Regel akzeptiert wird.

Lässt man sich ernsthaft auf ein Verhandlungsgespräch mit netten Verkäufern ein, so kann es eine amüsante und herzliche Situation werden. Es entstehen Gespräche über andere Themen, man bekommt einen klebrig-süßen Minztee gereicht und wird gefragt, ob man noch zusätzlichen Zucker benötige. Dann wird der Tee aus großer Höhe in das kleine gläserne Teeglas gegossen, als ob es darum ginge, trotz hoher Treffsicherheit möglichst viele Spritzer und Tropfen um das Glas herum zu verteilen. Ob sich dadurch der Tee noch etwas abkühlen soll um eine mundgerechte Temperatur zu ermöglichen, der zusätzliche Zucker besser gelöst werden soll oder es einfach nur ein großer Spaß am Wasserspiel ist, den Männer sich aus dem Kindesalter in das Erwachsenentum gerettet haben, das hat sich mir nicht erschlossen. Auf diese Weise erstand ich wunderschöne Messinglampen, Schalen, die typischen marokkanischen Schlappen (“Babouche”), Tücher, Kristallgestein und manches mehr.

Ein Gespräch verlief vollkommen anders: der Verkäufer wechselte schnell zu perfektem Deutsch und erzählte von seiner Zeit in Deutschland. Er habe Medizin in Bochum studiert, aber es nicht zu Ende bringen können. Die Deutschen würden sich einen derartigen Stress machen, was er nicht ertragen könne; es gebe keine Zeit für ein Gespräch zwischendurch aufgrund der generellen Hektik. Dazu käme auch noch das Wetter. Ich fragte mich insgeheim, ob das auch der Grund für das nicht beendete Studium war, empfand die Frage aber als zu intim, als sie ihm zu stellen. Er sei nun auch Heilpraktiker und er legte uns ein Buch mit handschriftlichen Danksagungen von Behandelten vor. Da es uns sehr gut ging, lehnten wir das Angebot einer Behandlung ab, drückten unser Interesse für den kurzen Einblick in sein Leben in Deutschland aus und verabschiedeten uns. Mir war nichtmals klar, was er in seinem Stand zum Verkauf angeboten hatte, so interessant fand ich seine Sichtweise als Marokkaner auf das Leben in Deutschland – wenn es bestimmt auch ein kurzer Zeitraum war, über den er berichtete.

Dann war da noch der junge Schneider an seiner Nähmaschine im Leder-Souq, der kurz aufschaute, als wir vorbei liefen und mich ebenfalls auf deutsch ansprach, aber mit rudimentären Sprachkenntnissen. Ohne seine Arbeit zu beenden aber mit Blick zu mir erklärte er, dass er die deutsche Sprache interessant fände, sie deshalb lerne und gerne die Gelegenheit nutze, mit einem Deutschen zu sprechen. Er deutete auf eine Liste von Vokabeln, die er momentan lerne und die er an die Wand gegenüber seiner Maschine in verschiedenen Farben geschrieben hatte.

Queen of the kitchen
Queen of the kitchen

Es war der letzte Abend in Marrakesch, und ich wollte unbedingt noch Schafskopf essen; auch dieser wird in manchen Garküchen auf dem Jemaa-el-fna angeboten. Der Kopf wird dabei am Stück gekocht und anschließend zerlegt; man bekommt dann die einzelnen Partien in einem Schälchen serviert: Wange, Zunge, sonstiges Fleisch – und ich meine, man hätte sogar die Augen essen können. Mir schmeckte es jedenfalls.

Teil 6: Von Marrakesch über Fés und Chefchouen zurück

Mein nächstes Ziel war Fés. Eine Route dorthin über größere Teerstraßen von Marrakesch verläuft über Casablanca. Auf dieser Strecke hat einer der großen Gaslieferanten (AfriquiaGaz) Marokkos eine Niederlassung, wo man deutsche Gasflaschen befüllen lassen kann. [Tipp für Wohnmobilfahrer: Sie heißt Centre Emplisseur Afriquia Gaz und liegt etwa 14 km Luftlinie nordwestlich vom Zentrum Marrakeschs entfernt kurz vor Tamensourt.] Ich stoppte dort und ließ meine beiden Gasflaschen wieder füllen. Bilder durfte ich dort nicht machen.

Da ich die Strecke Marrakesch-Fés nicht in einer Tour machen wollte, stoppte ich in dem Ort Skhirat Plage. Er ist südlich von Rabat am Atlantik gelegen und besteht aus vielen Nobelapparments, -häusern und Bungalow-Anlagen sowie Hotels. Touristisch war dort noch nichts los; viele der Unterkünfte schienen unbelegt zu sein. Man konnte ahnen, wie es in der Hochsaison aussehen musste. Ich spazierte am Strand entlang, entdeckte die Fischerboote und den Fischermarkt. Dieses schien aber auch der einzige typisch marrokkanische Bereich in dem Örtchen zu sein; der touristische Teil gefiel mir nicht. Und auch hier lagen Protz und Einfachheit, Reichtum und Armut wieder ganz nah beieinander.

Am nächsten Tag fuhr ich durch bis Fés und suchte mir erstmal einen Campingplatz, um mal zwei Tage nur dort zu verbringen und Urlaub auf der Reise zu machen. Doch dann wollte ich die Stadt erkunden.

Eines der Stadttore von Fés

Ich verließ den Campingplatz und fuhr in die Stadt auf einen Parkplatz. Schnell war mit dem Wächter geklärt, dass ich dort übernachten dürfe, obwohl wir uns auf keine gemeinsame Sprache einigen konnten. Auf meine Frage “Combien?” nannte er mir keine Zahl, sondern sagte mir, dass je mehr ich gebe, desto besser würde er aufpassen. Innerlich lachte ich und äußerlich tat ich, als ob ich nicht das Geringste verstünde. Er gab auf und tippte die Zahl 40 in mein Handy.

Mein Gott, wie schnell habe ich mich in Fés verlaufen! Die Medina erreichte ich nur über viele Umwege. Der GPS-Empfang ist in den engen Gassen schlecht, so konnte auch Google Maps nicht gut helfen. Dennoch konnte ich irgendwann meinen Aufenthaltsort auf der Karte bestimmen und dann den Einstieg in die Souqs der Medina finden. Auch das schöne Stadttor Bab Bou Jeloud unweit der Kasbah war dann schnell gefunden. Doch beim Abtauchen in die Souqs dauerte es nicht lange, bis ich wieder die Orientierung verloren hatte. Und als einzelne Person, die auf eine Karte oder Google Maps schaut, ist man schnell ein Opfer von Faux Guides: “See, all the shops are closed and that door is shut, so you can not go that way. Come with me, I am a good guy and I will show you the terrace with the good view and…”

Es stimmte, dass die meisten Shops und die Leder-Gerberei geschlossen waren, schließlich war Freitag und somit der Wochenfeiertag in einem arabischen Land. Weniger richtig war, dass eine Tür meine Route blockiert hätte. Für einen Moment folgte ich der ganzen Gruppe von Faux Guides, die sich mittlerweile gebildet hatte, um dann plötzlich und energisch anzukündigen, dass ich umkehre und zurück gehe. Sie hätten mir irgendetwas gezeigt, mich in Geschäfte gelockt, Haschisch angeboten und am Ende Geld für die ‘Führung’ verlangt. Auf das alles hatte ich keine Lust; ich wollte in Ruhe fotografieren und meinen Weg durch das Labyrinth selber finden.

So fand ich einen moderneren Teil in der Medina mit Neubauten, die sich harmonisch in das alte Stadtbild einfügten. Der Fluss hatte ein Betonbett bekommen, in dem leider auch viel Müll lag. Ich gelangte an den Plaza Rëcif, der von Einheimischen bevölkert war. Es wurde gegessen, gespielt, geredet, verkauft. Ich setzte mich an den Stand mit den gekochten Schnecken und aß eine Portion von der warmen und weichen Leckerei. Auf dem Weg zurück zum Wohnmobil kaufte ich mir noch einen Nachtisch in Form von marokkanischem Gebäck und verzehrte die ersten Stücke direkt bei der Ankunft.

Der Königspalast von Fés

Unweit der großen Medina gab es noch den mittelalterlichen Teil der Stadt, an den auch der Königspalast grenzt. Letzterer ist für die Öffentlichkeit leider nicht zugänglich. Ein Blick auf Google Maps lässt erahnen, dass es hinter den Mauern einen schönen Park gibt, der den Großteil der eingemauerten und nicht einsehbaren Fläche einnimmt.

Eine Einkaufsstraße mit den typischen Läden gab es natürlich auch. Sie verläuft durch das jüdische Viertel. Und mitten in ihr steht versteckt eine Synagoge, die von Außen als solche nicht zu erkennen ist. Bei der Besichtigung wird auch durch eine Führerin oder einen Führer die Geschichte des Gebäudes und der jüdischen Gemeinde erzählt. Vom Dach aus hat man einen tollen Blick auf den nahegelegenen Friedhof.

Auf ging es nach Chefchouen! Die Strecke war toll, weil gebirgig und abwechslungsreich. Ich hielt an einem großen See, der von Bergen und Hügeln eingerahmt war. Es war eine traumhafte Aussicht und ein ebensolcher Anblick. Bevor ich weiter fuhr, bestellte ich mir einen frisch gepressten Orangensaft an einer der Hütten.

Die Straße windet sich die letzten Kilometer vor dem Ort den Berg hinauf, und immer mal wieder kann man die ersten Häuser sehen. Nach einer Kurve ist dann der Blick frei auf den Ort: weiße und blaue Häuser stehen dicht gedrängt am unteren Hang des Berges, eine Stadtmauer am oberen Rand des Ortes ist noch zu weiten Teilen erhalten. Drei oder vier Moscheen ragen mit ihren Minaretten heraus und eine burgartige Anlage ist zu erkennen.

Am Ortseingang von Chefchouen

Ich fuhr durch den Ort und über die steile Straße hoch zum Campingplatz. Von dort aus liegt einem das Städtchen zu Füßen und man geht an einem Sportplatz vorbei über eine Ebene zu dem Abstieg durch eine Park-artige Anlage. Die Straße, in der ich ankam, empfing mich gleich mit einem Markt. Von Früchten über Gemüse zum Brot, Fleisch, Metallwaren – das Übliche für den täglichen Ge- und Verbrauch war wieder zu kaufen. Mein Focus war auf die Erkundung des Ortskerns mit den vielen blau getünchten Häusern gerichtet, und so passierte ich schnurstracks das Marktgeschehen.

Die Medina von Chefchouen ist wieder typisch verwinkelt; da sie aber am Berg und somit nicht in der Waagerechten liegt, fällt die Orientierung leichter. Auch hier findet man wieder viele Touristen, die zum Gewimmel in den Gassen beitragen. Häufig wird man angesprochen – schließlich wollen die Ortsbewohner auch etwas verkaufen. Ich wurde sehr freundlich in eine Galerie eingeladen, und der Verkäufer wollte nicht verstehen, dass ich aufgrund des Sonnenstandes schnell einen Platz erreichen wollte um Fotos zu machen. “Just a quick look” – im Inneren der Galerie wurde mir ein Sitzplatz auf dem Boden und Tee angeboten. Die ausgestellten Bilder gefielen mir, nur wollte ich selber Fotos von dem schönen Städchen machen und den bestimmten Lichteinfall nutzen. Meine abermalige Erklärung und mein Dank stießen auf Unverständnis und Ablehnung. Diese Haltung kommt immer mal wieder bei Verkäufern in touristischen Gegenden durch; vielleicht ist das Beleidigtsein nur eine gespielte Strategie, um den potentiellen Kunden über ein schlechtes Gewissen zum Kauf zu bewegen.
An dem zentralen Platz liegt eine Moschee und eine Kasbah, flankiert vom Marktplatz mit Brunnen und kleinem Park. Ich entschied mich, die Kasbah zu besuchen. Es waren wenige Besucher dort, sodass ich in aller Ruhe schauen und fotografieren konnte.

Durch die sich windenden Gassen vorbei an den blau getünchten Häusern ging ich zum nordöstlichen Ende der Stadt. Man durchschreitet das Tor der Stadtmauer und kommt zu den Wasserfällen des Flusses Ras el-Maa – ein schöner Ort zum Verweilen und einen frisch gepressten Orangensaft zu trinken.

Auf meinem Weg zurück durch die Stadt machte ich noch einen kurzen Abstecher in den neueren Teil der Stadt, der in meinem Augen im Vergleich zu Medina verblasste. Es war Nachmittag, als ich mich dann Richtung Tetouan auf den Weg machte. Ich genoss die bergige Landschaft, die Ausläufer des Rif-Gebirges. Etwa 25 km vor Tetouan passierte ich ein Geschäft mit Tischen, Stühlen, Vasen, Schalen, Lampen und vielem mehr. Es war riesig. Eine Lampe hatte ich mir ja bereits gekauft, aber einen typischen Mosaik-Bistrotisch wollte ich auch unbedingt haben und war bislang noch nicht erfolgreich gewesen. Ich hielt an fand auch gleich einen Tisch, der mir gefiel. Ich suchte eine Verkäuferin, die wiederum nach dem Geschäftsführer suchte; vermutlich war es ihr Vater. Die sprachliche Kommunikation war zwar schwierig, da mein Französisch mir keine Gesprächsführung ermöglichte; umgekehrt war das Englisch des Ladenbesitzers ebenso quasi nicht existent. Dennoch verstanden wir uns und er führte mich in ein Lager, in dem er mir viele von den runden, bunten Tischplatten zeigte. Die Auswahl war groß, und zu guter Letzt musste ich mich zwischen meinen drei Favoriten entscheiden. Nun fehlte noch der Unterbau, also ein Gebein für den Tisch. Meine Wartezeit wurde mir mit dem herrlich Minztee versüßt. Als das passende Gestell gefunden war, folgte noch die abschließende Verhandlung; der Einigung folgte dann noch eine Einladung zum Frühstück für den nächsten Morgen, die ich leider ablehnen musste, da ich ja nur auf der Durchreise war. Es war schon erstaunlich, wie gut wir uns mit Bruchstücken von Französisch und Englisch, Händen und Füßen verständigen konnten.

Tetouan erschien mir bei der Einfahrt modern und mondän, mit dem typisch marrokanischen Anstrich des Unfertigen und Improvisierten. Die Stadt hatte viel Europäisches oder Südspanisches. Da ich am Ende meiner Reise war, hatte ich kein großes Verlangen nach näherer Erkundung mehr. Außerdem war es schon Abend, die Dämmerung hatte schon eingesetzt und ich musste noch einen Ort zur Übernachtung finden. Das erste Restaurant, vor dem ich hätte übernachten können, war geschlossen. Weitere 6 km bei Cabo Negro gab es aber einen Stellplatz mit angeschlossenem Restaurant. Der Wächter grüßte mich, wies mich ein und ich ging zum Restaurant um einzuchecken und zu Abend zu essen. Es gab sogar marokkanischen Wein, von dem ich mir eine kleine Flasche Roten bestellte, dazu Lammtajine.

Während meiner gesamten sechs Wochen gab es keinen Wind in Marokko; gerade am Atlantik gibt es ein Land-See-Windsystem, welches durch die unterschiedlichen Temperaturen zwischen Land und See entsteht und sich erst später im Frühjahr ausprägt, wenn das Land sich aufheizt und das Meer noch kühl ist. Nun sollte an der Meeresenge von Gibraltar recht stürmischer Wind ankommen, und ich wollte die Fährfahrt vorher antreten. Meine Reise war eh zuende und ich wollte in Tarifa noch ein paar Tage Windsurfen. Ich hatte also nur noch einen Tag auf dem afrikanischen Kontinent, an dem ich noch einen Eindruck von Tanger bekommen wollte. Ich fuhr überwiegend durch die Stadt und empfand sie – ähnlich wie Tetouan – als spanisch-europäisch. Vielleicht werde ich sie mir bei meiner nächsten Reise noch genauer anschauen. So entschied ich mich, eine Fähre noch am selben Tag zu nehmen und trat den kurzen Weg zum Hafen nach Tanger Med an.

Welch eine Reise! Welch ein spannendes Land, welch eine andere Kultur mit vielen interessierten Menschen! So viel habe ich erlebt und gesehen, so schöne Begegnungen hatte ich. Mit dem Wohnmobil zu reisen macht einen sehr flexibel was die zeitliche Einteilung und die Routenwahl anbelangt, und in Marokko ist dieses gut möglich. Reist man auf den Autobahnen, so trifft man auf gute Straßen. Auf den Landstraßen muss man schon wachsam sein, tun sich doch hier und da plötzlich Schlaglöcher auf; nachts würde ich dort nicht fahren. Die Schotterpisten, über die ich gefahren bin, waren gut passierbar. Bestimmt kann man sich mit einem Offroad-Gefährt ganz wundervolle andere Gegenden erschließen. Jedenfalls habe ich mich immer sicher gefühlt; die bewachten Wohnmobilstellplätze trugen dazu bei. Generell gilt Marokko als sicheres und gut zu bereisendes nordafrikanisches Land. Es gibt wohl keine bis wenige Übergriffe, keine Anschläge. Ein Vorfall im Dezember 2018 erschütterte die Marokkaner selber (und nicht nur das Ausland), als zwei junge Skandinavierinnen im Altlas-Gebirge ermordet wurden. Angeblich wurden deshalb an den Einfahrten zu größeren Städten Polizeikontrollen durchgeführt; ich als ausländischer Tourist wurde immer durchgewunken.
Gerade in den Wintermonaten trifft man sehr viele Reisemobilisten in Marokko; gefühlt waren es 73% Franzosen, 16% Deutsche und die verbleibenden 11% teilten sich die Spanier, Engländer und Italiener. Zum Überwintern eignet sich das Land aufgrund seiner geografischen Lage und des damit verbundenen Klimas natürlich hervorragend. Aber ganz besonders für uns hocheffiziente Zentraleuropäer ist es auch schön zu sehen, dass die Menschen bei niedrigerem Lebensstandard und schlechterer staatlicher Absicherung doch näher beieinander stehen und sich gegenseitig helfen; zumindest war das mein oberflächlicher Eindruck. Dabei fällt mir wieder die Aussage des nach Casablanca gezogenen Schweden ein, oder auch der Verkäufer, der in Deutschland Medizin studiert hatte – beide fanden die zwischenmenschliche Entfremdung und die Rastlosigkeit in den beiden letztgenannten Ländern als nicht (mehr) ertragbar.

Kurzum: das Erleben einer anderen Kultur, anderer Lebensumstände und gesellschaftlicher Ordnung regt zum Vergleichen und Nachdenken an. Und die Unterschiede zwischen Zentral-Europa und Nord-Afrika sind schon groß. Begegnet man ihnen mit Offenheit und Respekt, so wird man mit neuen Erkenntnissen und schönen Begegnungen belohnt. Dazu noch eine andere Landschaft, andere Natur und ein anderes Klima, und die Faszination ist perfekt. […]

Salam alaikum!

Touristischer habe ich es nicht hinbekommen.

9 replies on “Ein Frühling in Marokko”

Tolle Reise hast Du da unternommen ?

Interessant es mal aus einer anderen Perspektive zu lesen

Das kannst Du wohl sagen! Ich habe auch wirklich nette Menschen kennen gelernt. 😉

Bin heute Nachmittag in Deinen wunderschönen Reisebericht eingetaucht und habe die Atmosphäre Deiner Reise genossen.

Ein wirklich fantastischer und spannender Reisebericht mit so tollen professionellen Fotos und Beschreibungen von Situationen, in die man sich bei der Lektüre wirklich hineinversetzen kann. Also das macht Appetit auf mehr ( “vielleicht auch auf einen Schafskopf” ). Einfach perfekt!

Mit Decke und Tee habe ich es mir auf meinem Sofa gemütlich gemacht und bin in deinen Reisebericht eingetaucht. Eine wunderbare Auszeit an diesem grauen Novembertag! Tolle Eindrücke und Fotos… voller Farben, Sonne und ganz besonderen Begegnungen. Ich mag deine detailreiche Sprache, mit der du beschreibst.

Wow, was für ein eindrucksvoller Reisebericht mit sehr schönen, stimmungsvollen Bildern. Fühle mich gerade mit auf eine Reise genommen. Herzlichen Dank für die Eindrücke in einen Teil der marokkanischen Welt, interessanten Begegnungen mit Mengenaufschlag, Wasserspielen und vielem mehr 😉

Was für ein schöner Reisebericht. Deine Bilder machen wirklich Sehnsucht – vielen Dank!
Blöd nur, dass Marokko wohl frühestens 2022 wieder auf der Agenda stehen kann…